«1653 war ein Schlüsselereignis der direkten Demokratie»

    Die Auswirkungen des Bauernkrieges von 1653 haben wesentlich zu unserer direkten Demokratie beigetragen. Es ist wichtig an die Errungenschaften dieser freiheitlichen Bewegung in Huttwil zu erinnern. Der neu gegründete Verein «In Memoriam 1653» bezweckt das mit Herz und Verstand. Für Präsident Johann Ulrich Grädel hat der Bundesbrief von Huttwil seinen Platz neben dem Rütlischwur verdient. Hier erklärt er wie er sich mit seinem Verein dafür einsetzt, dass der Geist von 1653 wieder mehr in das historische Bewusstsein rückt.

    (Bilder: zVg) Huttwil, das neue Rütli der Schweiz? Niklaus Leuenberger beim Bundesschwur von Huttwil 1653.

    Am 20. August 2025 wurde in Huttwil der Verein «In Memoriam 1653 ‒ Rehabilitation der früheren Demokratiebewegung» gegründet. Wie ist es dazu gekommen und welche Idee steckt dahinter?
    Johann Ulrich Grädel: Der Verein geht zurück auf einen Vorschlag der Nachkommen der damaligen Anführer. Er wurde im Rahmen eines Ideenwettbewerbs der Burgergemeinde Bern in diesem Jahr eingebracht, aber nicht berücksichtigt. Wir greifen dieses Anliegen nun wieder auf und würdigen die Landbevölkerung, die 1653 mit dem Huttwiler Bundesbrief zentrale Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Glaubensfreiheit und direkte Demokratie festschrieb. Diese Werte wurden 1848 Teil der Bundesverfassung und sind bis heute tragende Säulen unserer direkten Demokratie. Wir wollen damit zeigen, dass unsere direkte Demokratie nicht geschenkt, sondern unter grossen Opfern errungen wurde.

    Sie haben in diesem Sommer auf Ihrem Gelände das Freilichttheater «Burechrieg» mit 9000 Besucherinnen und Besucher aufgeführt. Wurde damit die Bevölkerung für die frühe Demokratiebewegung sensibilisiert oder welche Bilanz können Sie diesbezüglich ziehen?
    Das Freilichttheater Bauernkrieg hat sicher viele Leute nachdenklich gestimmt und wurde von ProRegio organisiert. Bei der heutigen Flut von Nachrichten geht es aber sicher bei vielen Besucherinnen und Besucher wieder vergessen. Daher ist es wichtig, dass wir durch den Verein immer wieder darauf hinweisen. Nun gilt es, mit weiteren Bildungsangeboten nachhaltig an die Aufführungen anzuknüpfen.

    Der Huttwiler Bundesbrief von 1653 kann als frühe Version unserer modernen Demokratiebewegung verstanden werden. Welchen Stellenwert hat dieser Teil der Schweizer Geschichte Ihrer Meinung nach verdient?
    Der Bundesbrief von Huttwil hat seinen Platz neben dem Rütlischwur verdient.
    Er ist die eigentliche Gründungserzählung unserer direkten Demokratie. Der Brief legte Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Glaubensfreiheit fest. Er sah, ganz nach direktdemokratischem Grundsatz, Überprüfungen alle zehn Jahre vor und war das erste ökumenische Ereignis. Im Unterschied zum Rütlischwur ist er dokumentiert – deshalb sollte er neben dem Rütlischwur einen zentralen Platz in der Erinnerungskultur einnehmen.

    Sie stören sich daran, dass der Bauernkrieg von 1653 in den Schweizer Schulen kein Thema ist. Wieso ist es wichtig, dass die nächste Generation dieses Ereignis des Bauernkriegs kennt?
    Ich finde es ist wichtig, dass die jungen Menschen verstehen, dass unser Staat nicht einfach so entstanden ist. Es hat dafür den Mut der Bauern und des Volkes gebraucht und sogar einigen das Leben gekostet. 1653 ist ein Lehrstück über Mut, Verantwortung und Zusammenhalt – Werte, die jede Generation lernen sollte.

    Der Kanton Bern möchte diesen Teil der Geschichte nicht aufarbeiten. Wie reagieren Sie darauf?
    Dass der Regierungsrat seine Ablehnung zu der Motion von Nils Fiechter am 27. August 2025 – dem Hinrichtungstag von Leuenberger und Spring – kommunizierte, ist enttäuschend, wenn auch nicht überraschend. Während die Stadt Bern, aber auch der Kanton den Kolonialismus intensiv aufarbeiten, wird dieser Teil unserer Freiheitsgeschichte verdrängt. Doch gerade Kinder sollten erfahren, dass unsere Vorfahren die direkte Demokratie unter grossen Opfern errungen haben.

    Johann-Ulrich Grädel, Präsident von «Im Memoriam 1653» wünscht sich die Anerkennung von 1653 als Geburtsstunde unserer direkten Demokratie.

    Was sind die Ziele Ihres Vereins?
    Wir stehen für Freiheit, Selbstbestimmung, Rechtsgleichheit und soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und fördern den Dialog zwischen Stadt und Land. Unser Ziel ist die symbolische Rehabilitierung der Bewegung von 1653 sowie ein Gedenkort in Bern. Auch Bildung und Kultur sollen im Geiste von 1653 künftig verankert sein.

    Welches Feedback haben Sie von der Gemeinde Huttwil auf Ihren Verein bekommen?
    Viele freuen sich, dass Huttwil wieder stärker in das historische Bewusstsein rückt. Der Gemeinderatspräsident ist im Vorstand und will mithelfen durch die Ereignisse von 1653 Huttwil bekannter zu machen.

    Sie bekommen auf politischer Ebene von SVP Grossrat Nils Fiechter Support. Er hat eine Motion eingereicht, welche die Rehabilitation der Bauernkrieger von 1653 fordert und die Erschaffung eines Gedenkortes in Bern. Was erhoffen Sie sich davon?
    Sie bringt das Thema auf die politische Agenda. Wir hoffen auf eine sachliche, parteiübergreifende Diskussion, die zu offizieller Anerkennung und einem Gedenkort führt. Es geht dabei um historische Gerechtigkeit.

    Sie sind EDU-Grossrat. Wie steht der Kanton Bern zum Bauernkrieg von 1653 und was wünsche Sie sich diesbezüglich von der Berner Regierung?
    Bisher zeigt der Kanton wenig Bereitschaft zur Aufarbeitung. Ich wünsche mir, dass er aber erkennt, dass es nicht um Schuld, sondern um Anerkennung geht. Die freiheitliche Bewegung von 1653 war ein Schlüsselereignis der direkten Demokratie – sie verdient Respekt und Rehabilitation.

    Welchen Stellenwert hatte die Landbevölkerung 1653 und wie steht es heute diesbezüglich?
    Damals war sie wirtschaftlich unverzichtbar, politisch aber ausgeschlossen. Ihr Beitrag zur direkten Demokratie war dennoch entscheidend. Heute sind die Rechte gleich verteilt, doch das Stadt-Land-Gefälle bleibt spürbar. 1653 erinnert uns daran, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

    Was wünschen Sie sich für Ihren Verein «In Memoriam 1653-Rehabilitation der früheren Demokratiebewegung» und was sind die nächsten Pläne?
    Wir wünschen uns die Anerkennung von 1653 als Geburtsstunde unserer direkten Demokratie. Daran arbeiten wir mit Bildungsprojekten, politischem Engagement und dem Ziel eines Gedenkortes in Bern. Jede Unterstützung ist willkommen.

    Interview: Corinne Remund

    www.inmemoriam1653.ch

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